Sven Minge: Ersatzdienst nach der Wende

Bewertung: 4 von 5.

Meinen Zivildienst leistete ich von Oktober 1996 bis Oktober 1997 über das Bundesamt für den Zivildienst beim Lebenshilfewerk in Geesthacht. Diese Zeit fiel in eine Phase tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen in Deutschland und wurde für meinen weiteren beruflichen Weg richtungsweisend.

Zeitgeschichtlicher Kontext

Nach der deutschen Wiedervereinigung kam es zu einer umfassenden Umstrukturierung der Bundeswehr. Zahlreiche Standorte wurden aufgegeben oder zusammengelegt. In der Gemeinde Wentorf bei Hamburg wurden unter anderem sowohl die Bose-Bergmann-Kaserne als auch die Bismarck-Kaserne geschlossen. Mit dem Rückgang klassischer Wehrdienstplätze gewann der Zivildienst deutlich an Bedeutung. Soziale Einrichtungen wurden zunehmend zu zentralen Einsatzorten gesellschaftlicher Verantwortung. Auch mein Zivildienst ist vor diesem Hintergrund einzuordnen. Bereits vor der Musterung war absehbar, dass perspektivisch auch ein Einsatz außerhalb Schleswig-Holsteins, unter anderem in Hagenow, in Betracht kommen könnte. Für mich persönlich kam ein Einsatz dort jedoch nicht infrage. Ich wollte meinen Zivildienst bewusst wohnortnah und in einem mir vertrauten sozialen Umfeld leisten. Diese Entscheidung wurde berücksichtigt, sodass mein gesamter Dienst in Geesthacht erfolgte.

Tätigkeit und Erfahrungen im Zivildienst

Im Lebenshilfewerk Geesthacht unterstützte ich Menschen mit Behinderungen im Arbeits-, Beschäftigungs- und Betreuungsalltag. Zu meinen Aufgaben gehörten Assistenzleistungen im täglichen Ablauf, die Begleitung bei Aktivitäten sowie die enge Zusammenarbeit mit pädagogischen und betreuenden Fachkräften. Verlässlichkeit, Respekt und die Förderung von Selbstständigkeit standen dabei stets im Mittelpunkt.

Die Behindertenhilfe der 1990er-Jahre war noch stark betreuungsorientiert; der heute zentrale Inklusionsgedanke hatte gesellschaftlich noch nicht die heutige Bedeutung. Dennoch erlebte ich eine engagierte, menschlich geprägte Arbeit, die auf Struktur, Nähe und individuelle Förderung setzte.

Weiterer beruflicher Weg im Lebenshilfewerk

Die positiven Erfahrungen und die inhaltliche Nähe zur Arbeit mit Menschen mit Behinderungen führten dazu, dass ich dem Lebenshilfewerk auch nach dem Zivildienst verbunden blieb. In der Folge übernahm ich dort später Verantwortung als Gruppenleiter. Diese Tätigkeit ermöglichte mir, meine praktischen Erfahrungen zu vertiefen, fachliche Verantwortung zu übernehmen und die Arbeit im Team aktiv mitzugestalten. Der Zivildienst bildete damit den Einstieg in einen längerfristigen beruflichen Weg innerhalb der Behindertenhilfe.

Persönliche Bedeutung

Der Zivildienst war für mich weit mehr als eine Pflichtzeit.

Sven Minge

Er vermittelte mir ein tiefes Verständnis für die Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderungen, stärkte meine sozialen und organisatorischen Kompetenzen und legte eine zentrale Grundlage für meinen weiteren beruflichen Werdegang. Empathie, Verantwortung und Teamarbeit wurden in dieser Zeit zu dauerhaften Leitwerten meines Handelns.

Fazit: Mein Zivildienst 1996–1997 steht für eine prägende Lebensphase im Spannungsfeld von gesellschaftlichem Wandel und persönlicher Orientierung. Die Umstrukturierung der Bundeswehr, die Schließung mehrerer Kasernenstandorte in Wentorf und die wachsende Bedeutung des Zivildienstes bilden den zeitgeschichtlichen Rahmen. Die anschließende Tätigkeit als Gruppenleiter zeigt, wie nachhaltig diese Erfahrungen wirkten. Bis heute prägen sie mein Verständnis von sozialer Verantwortung, Teilhabe und professioneller Arbeit im sozialen Bereich.

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