Hamburger Reeperbahn

Bewertung: 4 von 5.

Die Hamburger Reeperbahn – weltbekannt, legendär, facettenreich. Seit den frühen 1990er-Jahren gehörten gemeinsame Besuche auf der „sündigsten Meile der Welt“ immer wieder zu den besonderen Erlebnissen in Hamburg. Zwischen 1991 und 2025 wandelten sich Stadt, Menschen und Atmosphäre – und mit ihnen auch das Bild der Reeperbahn selbst: Vom rauen Rotlichtviertel zum modernen Entertainment-Boulevard mit Theatern, Clubs und Kulturstätten. Für mich persönlich war die Reeperbahn aber stets mehr als nur ein Ort des Nachtlebens – sie ist auch ein Stück Familiengeschichte.


Wurzeln auf St. Pauli

Mein Vater waren gelegentlich auch auf Reeperbahn und haben sich näher kenngelernt, u. a. im der Großen Freiheit 36, direkt gegenüber vom legendären Star-Club, in dem in den 1960er-Jahren die Beatles ihre Karriere starteten.

Diese Geschichten vermittelten nicht nur die besondere Atmosphäre jener Zeit, sondern auch das Lebensgefühl eines Stadtteils, der wie kaum ein anderer für Freiheit, Musik und Aufbruch steht. Für mich war es immer etwas Besonderes, später an denselben Orten entlangzugehen, an denen sich meine Eltern einst kennengelernt hatten – ein kleines Stück Familiengeschichte mitten im Herzen von Hamburg.


Die 1990er-Jahre: Zwischen Mythos, Musik und Clubkultur

Die ersten gemeinsamen Besuche in den frühen 1990er-Jahren waren geprägt von der Neugier auf die legendäre Reeperbahn – ein Ort, der längst Kultstatus hatte. Zwischen Großer Freiheit, Herbertstraße und Spielbudenplatz dominierten Bars, Leuchtreklamen und Musikclubs, die den unverwechselbaren Mix aus Nachtleben, Subkultur und hanseatischer Freiheit prägten.

In dieser Zeit begann auch der Aufstieg der Techno- und House-Bewegung, die das Hamburger Nachtleben nachhaltig veränderte. Besonders beliebt waren die legendären Clubs Unit und Tunnel, in denen Nacht für Nacht pulsierende Beats, Lichtshows und die Energie einer neuen Jugendkultur zu spüren waren.
Im Unit, unweit der Reeperbahn, feierten die Besucher zu internationalen DJs und aktuellen Tracks aus Berlin, Frankfurt oder London. Der Tunnel, später ebenfalls an der Reeperbahn ansässig, wurde zum Symbol der Rave-Kultur – laut, bunt und frei.

Parallel dazu prägten internationale Hip-Hop- und Crossover-Konzerte das Bild dieser Jahre. Besonders eindrucksvoll erinnere ich mich an den Auftritt von Public Enemy in der Großen Freiheit 36 sowie an das Konzert von Ice-T mit seiner Band Body Count im Docks. Diese energiegeladenen Shows verbanden politische Botschaften mit harten Gitarrenriffs und prägten das Musikverständnis einer ganzen Generation.

Ebenso unvergessen bleiben die Abende in Karaoke-Bars, in denen wir selbst die Bühne betraten, um Klassiker zu singen – und ein besonderes Erlebnis war die Aufnahme des Songs „L.A. Woman“ von The Doors in einem kleinen Amateur-Tonstudio in St. Pauli. Diese Mischung aus Spaß, Musikleidenschaft und jugendlicher Spontanität machte die 1990er-Jahre auf der Reeperbahn zu einer unvergleichlichen Zeit.

Viele Nächte begannen mit einem Bummel über den Kiez und endeten erst im Morgengrauen – mit Musik im Ohr, bunten Lichtern in den Augen und dem Gefühl, Teil einer lebendigen Szene zu sein. Manchmal auch auf dem Hamburger Fischmarkt.


Die 2000er-Jahre: Wandel und Vielfalt

Mit Beginn der 2000er-Jahre begann die Reeperbahn, ihr Image zu verändern. Während manche Kultorte verschwanden, öffneten neue Bühnen, Theater und Clubs. Die gemeinsamen Besuche führten nun häufiger zu Kulturveranstaltungen, Konzerten oder Musicals – etwa ins Schmidt Theater oder Schmidts Tivoli, wo Comedy, Kabarett und Musik eine feste Heimat fanden.

Ab 2006 setzte das neu geschaffene Reeperbahn Festival frische Akzente. Es bot Nachwuchskünstlern und innovativen Sounds eine Bühne – ein moderner Nachfolger jener Clubnächte, die einst im Tunnel, Unit oder Docks die Nacht prägten.


Die 2010er-Jahre: Musik, Licht und neue Perspektiven

In den 2010er-Jahren zeigte sich die Reeperbahn zunehmend modernisiert. Zwischen Beatles-Platz, Spielbudenplatz und Operettenhaus entstand ein lebendiger Mix aus Kultur, Gastronomie und Tourismus.
Gemeinsame Besuche beinhalteten Konzerte, Kneipentouren, Musicalabende oder Stadtführungen über den „Kiez bei Nacht“. Besonders eindrucksvoll war der Mix aus Geschichte und Gegenwart: Während Neonlichter und Livemusik lockten, erzählten Stadtführer von den bewegten Jahrzehnten zuvor – von Seeleuten, Künstlern und Reepern, nach denen die Straße ihren Namen trägt.

In dieser Zeit gehörten auch ausgelassene Abende nach den Fahrten mit dem Schlager-Boot, zuletzt im Jahr 2018, zum festen Ritual. Nach dem fröhlichen Musik-Event auf der Elbe ging es oft mit Freunden weiter auf die Reeperbahn – in bekannte Bars, Tanzlokale oder einfach zum Bummeln durch das nächtliche St. Pauli. Diese Kombination aus Musik, Freundschaft und hanseatischer Lebensfreude machte viele dieser Abende unvergesslich.


Die 2020er-Jahre: Reeperbahn im Wandel der Zeit

Auch die jüngsten Besuche zwischen 2020 und 2025 spiegeln die fortlaufende Entwicklung wider. Trotz der pandemiebedingten Stillstände blieb die Reeperbahn ein Symbol für das Hamburger Nachtleben. Neue Clubs, Rooftop-Bars und Lichtkunst-Installationen prägen heute das Bild.
Nach 2022 kehrte das Leben mit voller Kraft zurück: Der Spielbudenplatz wurde zum Treffpunkt mit Open-Air-Events, Streetfood-Märkten und Lichtshows.

In den letzten Jahren besuchte ich außerdem regelmäßig das neue Reeperbahn Festival auf dem Spielbudenplatz – ein modernes, kreatives Musikereignis, das mit internationalen Künstlern, neuen Klangrichtungen und urbaner Atmosphäre das Lebensgefühl von St. Pauli neu definiert.

Ein besonderes Erlebnis war der Besuch im Domizil von Olivia Jones, die wie kaum jemand für das bunte, tolerante und schrille Gesicht des modernen Kiez steht. Gemeinsam mit Bekannten nahm ich an einer geführten Kiez-Tour teil, bei der wir interessante Einblicke in das heutige Nachtleben bekamen. Beim Grünspan führte uns die Tour sogar an den sogenannten Transen-Strich – ein Stück authentisches St. Pauli, das zeigt, wie vielseitig und lebendig dieses Viertel geblieben ist.

Einen bleibenden Eindruck hinterließ 2024 auch der Film „Der Goldene Handschuh“, den ich erst über das Streaming sah. Die Geschichte, basierend auf realen Ereignissen der 1970er-Jahre, zeigt die dunkle, brutale Seite des Kiezlebens jener Zeit – weit entfernt von den Lichtern und Klängen, die wir heute kennen. Dieser Film machte noch einmal deutlich, dass die Reeperbahn immer beides war: Ort der Faszination und Ort der Abgründe.

Diese jüngsten Besuche und Eindrücke verbinden Nostalgie mit Neugier: Spaziergänge entlang der Großen Freiheit, Fotomotive auf dem Beatles-Platz, Besuche im Panoptikum und Gespräche über frühere Zeiten – vom ersten Besuch in den 1990ern bis hin zu den Geschichten meines Vaters aus den 1960ern.


Hintergrundwissen zur Reeperbahn

Der Name „Reeperbahn“ stammt aus dem 17. Jahrhundert und bedeutet wörtlich „Seilerbahn“ – auf diesen langen Bahnen stellten Handwerker (Reeper) einst Schiffstaue her. Durch die Nähe zum Hafen entwickelte sich das Viertel schnell zu einem Ort der Unterhaltung, Gastronomie und später der Vergnügungsindustrie.
Berühmt wurde die Reeperbahn weltweit durch Künstler, Seeleute und Musiker – von den Beatles über Hans Albers bis Udo Lindenberg, der seit Jahrzehnten mit dem Hotel Atlantic und der Reeperbahn eng verbunden ist. Heute gilt sie als Symbol für Hamburgs weltoffene, kreative und manchmal rebellische Seite.


Fazit: Von 1991 bis 2025 hat sich die Reeperbahn mehrfach neu erfunden – und doch ihren Charakter bewahrt. Die gemeinsamen Besuche spiegeln diese Entwicklung wider: vom neugierigen Erkunden der 1990er über kulturelle Entdeckungen der 2000er und musikalische Erlebnisse der 2010er bis zu den modernen, stimmungsvollen Abenden der 2020er. Gleichzeitig verbindet sich in meiner Erinnerung das heutige Hamburg mit den Geschichten meines Vaters – von den ersten Treffen meiner Eltern auf der Großen Freiheit bis zu den eigenen Konzert-, Club-, Festival- und Kiezerlebnissen Jahrzehnte später. Die Reeperbahn bleibt ein Stück Hamburger Identität – ein Ort, an dem Geschichte, Musik, Freundschaft und auch die Schattenseiten des Lebens auf einzigartige Weise aufeinandertreffen.


Hans Albers und die Reeperbahn

Hans Albers, der „blonde Hans“, ist bis heute eine Legende St. Paulis. Mit seinem Lied „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ machte er das Hamburger Vergnügungsviertel weltberühmt. Der Film „Große Freiheit Nr. 7“ (1944) zeigte ihn als singenden Seemann Hannes Kröger – eine Rolle, die perfekt zu seiner Heimatstadt passte.

Auf dem Hans-Albers-Platz erinnert eine Bronzestatue an den beliebten Schauspieler und Sänger. Sein rauer Charme, seine Sehnsucht nach Meer und Freiheit – all das verkörpert bis heute den Geist der Reeperbahn und des alten Hamburgs.


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