Ein grauer, trüber Novembertag in Hamburg – feiner Nieselregen über den Dächern von Winterhude, das Licht gedämpft, die Straßen glänzen feucht. Ein perfekter Moment, um sich für einige Stunden in eine andere Zeit zu begeben. Gemeinsam besuchten wir das traditionsreiche Magazin Filmkunsttheater in der Straße Fiefstücken 8a – ein Ort, der schon beim Betreten eine besondere Atmosphäre ausstrahlt. Der Duft von Holz, das matte Licht, der samtrote Vorhang: Hier wird Kino noch als kulturelles Erlebnis verstanden, nicht bloß als Unterhaltung.
Das Magazin Filmkunsttheater – ein Stück Hamburger Kinogeschichte
Das Magazin gehört zu den ältesten noch betriebenen Lichtspielhäusern Hamburgs. Es wurde in den 1920er Jahren im Stil der klassischen Hamburger Backsteinarchitektur errichtet, eingebettet in eine Wohnanlage, die von Stadtbaumeister Fritz Schumacher entworfen wurde. Seit den 1930er Jahren werden hier Filme gezeigt, zunächst unter dem Namen Winterhuder Lichtspiele, später – ab 1974 – unter dem heutigen Namen Magazin Filmkunsttheater.
Der elliptische Saal mit rund 370 Sitzplätzen gilt als akustisch außergewöhnlich. Die Cinemascope-Leinwand (etwa 10,5 × 4,9 Meter) bietet bis heute die passende Bühne für großes Kino. 2013 erfolgte die Umstellung auf digitale Projektion, doch das Kino hat sich seinen nostalgischen Charakter bewahrt: Holzvertäfelungen, Wandlampen im Stil der 1950er Jahre und eine Atmosphäre, die fast schon museal wirkt – aber im besten Sinne.
Das Magazin ist weit über Winterhude hinaus bekannt für sein sorgfältig kuratiertes Programm. Hier laufen Dokumentarfilme, Arthouse-Produktionen, Filmklassiker und besondere Reihen. Nicht selten finden auch Lesungen, Diskussionen oder Preisverleihungen statt – zuletzt die Verleihung der Hamburger Kinopreise. Damit ist das Magazin ein lebendiger Teil der Hamburger Kulturszene und zugleich ein Denkmal der Kinogeschichte.
Der Film: Ostpreußen – Entschwundene Welt (1912–1945)
Gezeigt wurde der Dokumentarfilm „Ostpreußen – Entschwundene Welt. Die Jahre 1912 bis 1945“ – eine beeindruckende filmische Zeitreise in ein Land, das heute in dieser Form nicht mehr existiert. Der Film besteht ausschließlich aus historischen Filmaufnahmen, die überwiegend von Amateurfilmerinnen und -filmern stammen. Es gibt keine Interviews, keine nachträglichen Kommentare, keine erklärende Stimme aus dem Off – die Bilder erzählen für sich.
Die Aufnahmen zeigen Alltagsleben, Feste, Arbeit, Landschaften, Familien – und schließlich den Krieg, Flucht und Untergang. Durch diese unkommentierte Erzählweise entsteht eine stille, berührende Authentizität. Man sieht die Gesichter der Menschen, ihre Routinen, ihre Heimat – und weiß doch, dass all das verloren gehen wird.
Gerade für jene, die familiäre Wurzeln in Ostpreußen haben, wird der Film zu einem emotionalen Erlebnis. Er führt in eine Welt, die in den Erinnerungen vieler Familien noch nachhallt – zwischen Königsberg und der Kurischen Nehrung, zwischen Weichsel und Memel.
Atmosphäre im Kino
Der Kinonachmittag begann ruhig. Draußen zog der Regen über die Dächer, drinnen herrschte gespannte Stille. Der rote Vorhang öffnete sich, als die ersten Töne der Musik erklangen. Das Publikum war konzentriert, respektvoll, beinahe andächtig. Kein Popcornrascheln, kein Flüstern – nur die Bilder, die auf der Leinwand eine vergangene Welt heraufbeschworen.
Die Projektion war gestochen scharf, die alte Filmkörnung der historischen Aufnahmen blieb sichtbar und machte den Eindruck umso eindringlicher. Viele Zuschauer blieben nach dem Abspann noch sitzen, als wollten sie das Gesehene nachwirken lassen.
Warum dieser Ort perfekt zum Film passte
Das Magazin mit seinem historischen Saal und seiner ruhigen, fast feierlichen Atmosphäre bot die ideale Kulisse für diesen Film. Hier geht es nicht um Lautstärke, sondern um Konzentration, nicht um Konsum, sondern um Begegnung – mit Geschichte, Erinnerung und Emotion.
Der Film fügte sich nahtlos in die Programmlinie des Hauses ein: anspruchsvoll, kulturhistorisch relevant und zugleich persönlich bewegend. Er erinnerte daran, wie viel von der Geschichte Nordosteuropas im 20. Jahrhundert verloren ging – und wie wichtig es ist, die verbliebenen Bilder, Geschichten und Erinnerungen zu bewahren.
Fazit: Der Besuch im Magazin-Filmkunsttheater Winterhude war mehr als ein Kinobesuch – er war eine Zeitreise in die filmische Erinnerungskultur Ostpreußens. „Entschwundene Welt“ zeigt die Schönheit und Tragik einer Region, die einst zu Deutschland gehörte und heute zwischen Polen, Russland und Litauen geteilt ist. Ein stiller, eindringlicher Nachmittag, der lange nachhallte. Draußen blieb der Himmel grau, doch drinnen leuchteten die Bilder einer vergangenen Welt – und mit ihnen das Bewusstsein, wie fragil Erinnerung ist. Ein Besuch lohnt sich – nicht nur wegen des Films, sondern wegen des besonderen Ambientes. Wer Kino noch als Kulturform erleben will, findet im Magazin einen Ort, an dem Filmgeschichte lebendig bleibt.
Adresse des Kinos:
Magazin Filmkunsttheater
Fiefstücken 8a
22299 Hamburg-Winterhude











